“Man könnte auch sagen, dass sich jedes Kind seinen Lebensstil schaffen muss, um sich in seiner Umwelt zurechtzufinden und sein Leben bewältigen zu können” (Gerda Siebenhüner in: “Lebensstil und Lebensstilanalysen von Ehen und Partnerschaften”. Überarbeitete Fassung eines Vortrags vor dem Landesverband der “Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie” in Berlin am 14.12.1988; in: “Zeitschrift für Individualpsychologie”, Heft 2, 14. Jahrgang 1989, S. 111.).
“Das Wissen darum, dass wir uns bewusst und zielsicher den Partner wählen, der zu uns passt, erfordert die Aufarbeitung des individuellen Lebensstils. Seine Erkenntnis erleichtert die Unterscheidung von Projektion auf den Partner und eigener Problematik” (Siebenhüner, a.a.O. S. 116).
In aller Regel suchen wir Freundinnen und Freunde und eben auch Partnerinnen und Partner nach den Vorstellungen unserer unterbewussten Systeme (=Lebensstile) aus. So ist es die Regel, dass Partnerinnen und Partner von ihren unterbewussten Systemen her Mutter und/oder Vater repräsentieren, die bzw. der auch ersetzt werden soll(en). In Konfliktsituationen wird dann leicht übersehen, dass mit einer Vorstellung gestritten wird, die wir uns von dem/der anderen gemacht haben, der Konflikt also eigentlich im eigenen Inneren gestartet worden ist. Zusätzlich gilt in der Regel für jede Partnerschaft: man/ frau lässt sich auf sie ein “plus” Hoffnung auf Heilung. Diese Partnerschaften haben “Substanz”, da die eigene Hoffnung immer einen Inhalt hat, auch wenn man ihn auf einen anderen überträgt. Nach Aufdeckung der Ursachen und Verarbeitung der Probleme, die zu einer Krise geführt haben, ist eine positive Gestaltung der Partnerschaft möglich.
Bis vor wenigen Jahren noch galt die Ehe als normale und wünschenswerte Form der Zweisamkeit, von sogenannten “Seitensprüngen” und “Affären” einmal abgesehen. Bestimmte Rollenvorstellungen wurden in der Erziehung vermittelt - oft um jeden Preis. Demokratisierungsprozesse und vor allem die feministischen Bewegungen brachten viel in Bewegung, wie wir allgemein feststellen können. Sogenannte “Ehen auf Probe”, der Begriff des “Single”, relativ hohe Scheidungsraten signalisieren Veränderungen.
Wenn die Eigenbeteiligung bei der pathischen Kategorie des Widerfahrnisses von “leben” heisst, sich an “leben” zu beteiligen, also am Widerfahrnis von “leben” teilzuhaben, so heisst die Eigenbeteiligung bei der pathischen Kategorie “lieben”, an der eigenen Lust am “leben” teilzugeben. Diese Teilgabe ist einerseits Orientierung an einer konkreten Person, andererseits unbedingtes Zeichen der Freiheit eines Menschen, deshalb auch Notwendigkeit, “lieben” nicht mit einem Besitz(anspruch) zu verwechseln. Deshalb gilt es wahrzunehmen, dass nicht wir den anderen Menschen “brauchen”; weder im Sinne von “Ich brauche dich, weil ich dich liebe” (von E.Fromm <“Die Kunst des Liebens”, 1956> als angemessene Liebe bezeichnet), noch im Sinne von “Ich liebe dich, weil ich dich brauche” (von E.Fromm als unangemessene Form der Liebe bezeichnet), sondern dass der/die andere uns sozusagen “zu-gebraucht” wird, dass wir miteinander umgehen dürfen und dabei die Freiheit der anderen und eben auch ihre Andersartigkeit respektieren. Andernfalls kehrt sich die Dynamik wegen ihrer Umwandlung in gedachte Gefühle gegen das Individuum selbst und wirkt selbstzerstörerisch: Wir müssen stets zusätzliche Energie aufbieten, um die natürliche Energie zurückzuhalten. Wenn der “Ge-brauch” der individuellen Möglichkeiten für- und miteinander, so Umgang auch verstehbar, nicht an der Grenze des Erhalts der Entscheidungs- und Regenerationsmöglichkeiten des/der anderen endet, kommt es zum aversiven und destruktiven “Ver-brauch”.
Die Ehe selbst ist ein Feld, auf dem Partnerin und Partner sich gegenseitig teilgeben und akzeptieren können. Sie sollen nicht “eins sein”, nicht ihre persönlichen Ideen und Erfahrungen hinter der Gemeinsamkeit zurückstehen lassen. In der Ehe leben beide gleichwertig von der Hoffnung her, gewiss sein zu dürfen. Dazu gehört die freie Willensentscheidung. Und der Mut, diese Entscheidung durchzuhalten. Keine Partnerin und kein Partner kann die/den andere/n zwingen, dass diese/r “lieben” auf bestimmte Weise dokumentiert, wenn er/sie dieses “Spiel” nicht mit-spielt. Dabei ginge auch das Abenteuer verloren, die/den andere/n kennenzulernen; die Lust am anderen Menschen würde zum Selbstzweck und durch Misstrauen verraten, die eigene Phantasiewelt zum Massstab des Ehelebens gemacht. Die Sexualität ist kein Selbstzweck, sondern sekundäres Potential, primäre Ideen, Wünsche und wirkliche Gefühle auszudrücken. Tabuisierungen führen zum Verlust an Schönheit und Freiheit. Doch Gesprächsbereitschaft lässt sich auch nicht durch eine noch so deutliche Sprache erzwingen - Geduld als langer Mut, als Mut mit langem Atem, führt auch hier zu Erfahrungen inhaltlicher Kommunikation: sich verständlich machen ist die Grundlage zum Aufbau von Verständnis. Eine der stärksten moralistischen Abwertungen in der Ehe ist der Satz “Du verstehst mich nicht”.
Viele Probleme in der Ehe tauchen erst nach Abschluss der “Werbungsphase” auf, wenn man/frau beginnt, sich in der Ehe einzurichten und das Sonntagsgesicht und die Schokoladenseite abzulegen, mit deren Hilfe der andere Mensch “gewonnen”(!) wurde. Dann treten die Lebensstilmerkmale unvermindert auf. Doch weniger eigentlich, um die/den andere/n in die Knie zu zwingen - vielmehr erhofft sich jeder Mensch vom anderen Heilung von Wunden. Deshalb wird der Lebensstil unverfälscht (also ohne “Entstellung” durch Sonntagsgesicht und Schokoladenseite) praktiziert. Wenn beide dies nun gleichzeitig tun, erfolgt der Kleinkrieg in relativ offener Form. Oft ist unterschwellig Misstrauen als Sicherungstendenz gegenüber dem anderen Geschlecht anwesend und die Zielvorstellung, sich keinesfalls unter”krieg”en zu lassen. Hier wird der Krieg zwischen den Geschlechtern als gegeben vorausgesetzt. Dies Misstrauen und diese Voraussetzung sind jedoch Zeichen blockierter Hoffnung und bedeuten im Lebensvollzug Verzicht auf Freiheit (als Freiheit für ...) unter dem Deckmantel des Begriffs Freiheit (und ist eigentlich Freiheit von ...). Dabei erhält die Freiheit der Menschen gerade in der Form der Hingabe ihre Dynamik.
Eine weitere Ursache für viele Missverständnisse ist der Anspruch, der andere Mensch möge Geborgenheit vermitteln und der Gedanke, dies sei durch Standesamt oder Trauung zu erreichen. Doch auch diese Ursache hängt mit dem Wunsch zusammen, vom anderen Heilung zu erfahren. Ehen werden wesentlich unter diesem Aspekt eingegangen. Es wird der Mensch geheiratet, von dem diese Heilung erwartet wird. Ist eine partnerschaftliche Beziehung (in welcher äusseren Form auch immer) unter diesen unbewusst orientierten Bedingungen eingegangen worden, ist sie trotz stärkster Krisen stabil (wir sprechen von Substanz in einer Beziehung), da beide - Partnerin und Partner - ihren Lebensstil und damit ihre Unmöglichkeitsforderungen an den anderen kennenlernen können im Respekt vor der Menschlichkeit des/der anderen. Der Heilungswunsch ist ohnehin eine Unmöglichkeitsforderung, die hier auch noch zusätzlich daran gekoppelt ist, dass der Partner bzw. die Partnerin als Ersatz für Vater oder Mutter missbraucht wird, diese jedoch auch für das Unterbewusste nicht ersetzen kann. Der infantile Wunsch bzw. die infantilen Sehnsüchte aus der frühen Kindheit bleiben an die konkrete Erziehung gebunden, so lange sie unterbewusst bleiben. Ausserdem kann Geborgenheit nur aus dem Individuum selbst heraus entstehen und dort zugelassen werden, wo wir sie in uns selbst entdecken und unseren Sinn und/oder Wert nicht über eine andere Person definieren.
Fast alle aktuellen Auseinandersetzungen in Beziehungen, also die situativen Machtkämpfe oder Distanzierungen, entstehen dadurch, dass beide Partner zur gleichen Zeit entweder verwöhnt werden wollen oder die/den andere/n verwöhnen wollen. Die Ziele dieser Verwöhnung hängen natürlich von individuellen Vorstellungen ab. Grundsätzlich sei gegen alle Romantizismen in Bezug auf die Ehe gesagt: Die Heirat dient der Änderung der Steuerklasse. Kein noch so romantisches Arrangement ist eine Garantie für Substanz in einer Partnerschaft, habe sie nun einen Trauschein oder nicht. Zur Vertiefung der Kenntnisse über dieses Aktionsfeld verweise ich auf “Schmach usw.”
“Oft muss man bei entgleisten Paarbeziehungen zufrieden sein, wenn einer der Partner durch Stärkung seines Selbstwertgefühls zu einer Trennung fähig wird und damit das gegenseitige Zerstörungswerk beendet.
Andere Verläufe zeigen eine immer grösser werdende Entfremdung auf. Unfähig, Konflikte und Krisen zu bewältigen, einigen sich die Paare unbewusst darauf, gefährliche Bereiche zu vermeiden. Dabei werden mehr und mehr Themenbereiche tabuisiert, bis sich das Paar nichts mehr zu sagen hat. Sie werden sich fremd, verlieren das Interesse aneinander und erstarren in Gleichgültigkeit und Routine. Nur der äussere Schein einer Ehe bleibt bestehen, hinter der die Lebenslüge blüht, vergleichbar den Dramen von Ibsen” (Siebenhüner, a.a.O. S.118). “Andere Paare entdecken in ihrer Ehe neue Möglichkeiten und gestalten sie bewusster” (a.a.O. S.119).
Idealvorstellungen - eine auch humorige Exkursion
Stichprobenartig habe ich vor einiger Zeit etliche Frauen und Männer danach befragt, welche Eigenschaften sie sich von ihren (Ideal)Partner/innen wünschen. Sie durften bis zu vier Eigenschaftswörter nennen.
Die Antworten der Männer klingen so: dynamisch, zugeneigt, liebevoll, offen, intelligent, weiblich, humorvoll, zärtlich, ehrlich, streng, ein bisschen pummelig, freundlich, schlau (ein Mann schrieb als erstes liebevoll, als zweites lebendig: da habe ich doch etwas gestutzt), ein anderer nannte: intelligent, und zwar “ausreichend für mich”; oder auch (ganz unverdächtig): lieb, hübsch, elegant, sportlich.
Bei diesen Idealvorstellungen habe ich mir dann erlaubt, den Jargon in eine andere Sprache zu übersetzen. Wenn jemand z.B. sagt
- “humorvoll”, dann meint er “immer lächeln”, egal wie er gelaunt ist ...
- “berufstätig”, dann meint er “für die Altersversorgung mitarbeiten”, um ggf. die Versorgungslage zu gewährleisten;
- “gesprächsfreudig”, das heisst, dass sie sich auf ihn einstellen soll, “spontan gesprächsfreudig” sich auf ihn so einstellt, dass er dabei ausreichend gewürdigt wird;
- “ich muss das Gefühl haben, dass sie zu mir gehört”: hier wird “lieben” mit “haben” verwechselt, sie kann das nur demonstrieren, indem sie auf Zuruf um ihn herumscharwänzelt;
- “intelligent”, für ihn denken können;
- “unternehmungslustig”, sie muss in der Lage sein, ihn bei Bedarf aus der Lethargie herauszuholen;
- “sensibel”, eine Frau, die sensibel ist, ist immer in der Lage, sofort alle unausgesprochenen Wünsche zu wissen und zu erfüllen und das noch auf möglichst unauffällige Art.
Zu diesen Kostproben der Übersetzung von Jargon in Sprache nun auch ein paar Antworten von Frauen:
- “hilfsbereit”. Sollte sie sich einen Big-Mac wünschen, weil sie doch so hilfsbedürftig ist?
- “gelassen”. Soll er nun fatalistisch oder desinteressiert sich ihr gegenüber einstellen? Und dann hat die gleiche Frau sich gleichzeitig gewünscht, dass der Mann ihr “Raum gebe”: Wieso muss der Mann ihr Raum geben, wenn sie sich selbst Raum zugesteht? Definiert sie sich doch wieder über den Mann?
Einige andere Eigenschaftswörter waren: “Kommunikationsfähig”; “dass er bei sich bleibt, wenn ich mich sorge”; “humorvoll”, “lebendig” (ach?), “optisch appetitlich”.
Als Folge von Verwundungen und der entsprechenden geschlechtsspezifischen Unterschiede der Vater-VA-Folgen übertragen Männer die Idealvorstellung von der Erlösung aus der Verwundung auf die Frau auf eine Art und Weise, dass sie vor allem für sich wünschen, in ihrer eigenständigen patriarchalen Art unangefochten zu bleiben, unangefochten heisst dann, dass sie die Frauen dann auch als “liebevoll” akzeptieren, so dass keine weiteren Aktivitäten nötig sind, um die Frau zu überzeugen, dass der beste Mann für ihre Seite sich genau jetzt an ihrer Seite befindet. Die Wunschvorstellungen reichen dann natürlich auch in die höheren Welten männlicher Weltanschauungen, dass die Frau also die Einsicht in diese Welt der männlichen (Selbst-) Vorstellung ohne grosse Mühen praktizieren möge. Sie soll vor allen Dingen dort die grössere Einsicht haben, wo Männer “etwas verwundet”, lädiert, angestresst sich nach Hause schleppen nach den Mühen des Berufes und die Heilung sozusagen als eine Art Vorgeschmack auf zukünftige Genüsse sofort schon an der Haustür zugeteilt erhalten. Natürlich muss eine Frau gegenüber diesen Wünschen “versagen” -, sich versagen, wenn sie ihre Eigenständigkeit als ein Recht auf sich selbst empfindet und Sklaverei für abgeschafft erklärt. Andernfalls müsste sie dauernd fragen: “Ist es so recht? Ist es so recht?” Das ginge dem Mann wieder auf den Wecker, deswegen soll sie das alles ja spontan, innerlich und unwillkürlich schon längst wissen; und möglichst unauffällig ihm Gutes tun: Sie muss dann so tun, als täte sie sich was Gutes, wenn sie ihn gerade bedient, verwöhnt - nach dem Motto “Frauen tun doch eh nichts lieber ...”
Diese Idealvorstellungen sind jedoch nicht nur Produkte unserer VA-Folgen, sondern auch geistig orientierte unterstützende Methoden, um in einer Partnerschaft die unterschiedlichen familiären Kulturen und Sprachen harmonisch (im Sinne des Patriarchats) miteinander in Verbindung zu bringen, wie es die Männer ihrer Herkunftsfamilie kennen. Und was kennen sie aus ihrer Herkunftsfamilie am besten? Dass die Frauen “versagt” haben! Der Kampf gegen die Selbständigkeit der Frau schützt einen Mann vor den Erkenntnissen seiner Vater-VA, von der er ja in einer patriarchalen Kultur profitiert.
Die gleiche Problematik, die in dem Väter-Artikel (Siehe “Väter haben wir alle” in “Schmach usw.”) beschrieben ist, wo auch die Probleme von Männern im Bereich der Sexualität benannt werden, lässt sich auch bei den Idealvorstellungen wiederfinden. Wir finden die Folgen dieser Verwundung, die probiert, das Äussere an das Innere anpassen zu wollen, wo also die Frau mit dem Blick betrachtet wird, ob sie dem Manne steht, wieder in der Vorstellung, dass die Frau Gedanken lesen soll, dass sie sensibel sein soll (natürlich nicht empfindlich, sondern), dass sie dem Mann für seine Unzulänglichkeiten einen Freibrief ausstellt. Sie soll Wünsche wissen und erfüllen, dabei unauffällig sein, also mit Intuition ausgestattet, mit einer gewissen Feenhaftigkeit, und trotzdem im entscheidenden Augenblick wieder konkret. Weitere Chiffren dafür sind dann liebevoll, zärtlich, schön.
Jene andere Problematik in der Sexualität, die über die vornehme Zurückhaltung agiert und dazu neigt, Projektionen nach draussen zu geben, weist auf die Vorstellung, dass Frauen die entscheidende Chance erhalten, das externe Paradies für diesen Mann zu sein, wobei der Akzent auf extern liegt. “Echt nahe” kann das dann nicht gemeint sein, weil: externe Paradiese sind nur solange Paradiese, wie sie nicht konkret sind. Das wäre dann eher für Brüderchen und Schwesterchen oder Klostergemeinschaften akzeptabel. Dazu kommen dann jene Phänomene zusätzlich in Betracht, die mit den Adjektiven beschrieben werden: dynamisch, aktiv, sportlich, lebendig, frei heraus, ehrlich, unternehmungslustig, fröhlich. Da haben wir sozusagen die ganze Bandbreite eines Palmenparadieses ausgebreitet, in dem der sich vornehm Zurückhaltende sortieren kann, was er dann auf sich selbst wirken lässt, ohne seine eigene Position dahingehend zu ändern, dass er diese erhabene Höhe (eigentlich: seiner eigenen Isolationshaft) verlässt.
Die dritte Problematik in der Sexualität ist die der Angst. Diese Männer, die Angst vor Frauen entwickeln, möchten, dass die Frau deren männliche Not auf sich nimmt, dass die Schuldfrage natürlich immer zu Ungunsten der Frau geklärt wird, und damit sie auch nur ja denkt, dass das wirklich so ist, muss sie das Zerbrechen einer Beziehung immer als persönliches Versagen deuten. Und hier werden dann auch eindeutig die Eigentumsrechte geklärt, wie wirklich zugehörig (mit diesem Herumscharwänzeln), und dass sie auch einigermassen hübsch aussehen soll, und vor allen Dingen, dass sie auch bereit ist, ggf. etwas in die Beziehung zu investieren, und sei es Bodybuilding oder Diät bei Krise.
Die vierte Problematik, die sich Sorge macht um den nächsten Augenblick, braucht eine intelligente Frau, eine kluge Frau, die in der Lage ist, für den Mann zu denken, so dass der Mann dann sagen kann: “Oh, genau, was du jetzt sagst, das ging mir gerade durch den Kopf. Du nimmst es mir aus dem Munde.” Dass sie auch aktiv und berufstätig ist, dass die Sorge um die Versorgung von ihm abfalle, dass sie Organisationstalent hat, dass sie also in der Lage ist, den Mann von den Sorgen um die Familie, um die Kinder, Nachbarn, Feste zu entlasten, dass sie Management und Arbeitskraft auf nützliche Art und Weise verbindet, das möge sie alles tun, damit ihm ein mehr oder weniger sorgenfreies Dasein beschert sei.
Wie sieht das nun bei den Frauen aus? Bei allen Antworten, die ich da zu hören bekommen habe, ist es wieder einmal so eine typische Sache: Sie lassen sich nicht so ohne weiteres einsortieren. [Diese ironisierende und deshalb humorvoll gemeinte Beschreibung möchte auf den Umstand aufmerksam machen, dass ich damit alle Untersuchungen, die Frauen betreffen, mit äusserstem Misstrauen begegne, da eine patriarchal orientierte Vereinfachung der komplexen Zusammenhänge vermutet werden darf.]
Männliche Verhaltensweisen sind meist schlicht, sie sind oft leicht einzusortieren (siehe “Väter haben wir alle” in “Schmach usw.”). Hier jedoch besteht wieder so eine Art von Vielschichtigkeit, die nur darüber orientierbar ist, dass manche Wunschvorstellungen irgendwie männlich orientiert sind: dass also die Frau, die sich da etwas Bestimmtes an Männlichkeit vorstellt, schon so im Patriarchat existiert, dass sie natürlich den entsprechenden Prinzen auf dem weissen Fahrrad erwartet. Und wenn ich mir die Frauen genau anschaue, die da wirklich so männlich orientiert Wunschvorstellungen geäussert haben, dann habe ich beobachtet, dass es eigentlich Frauen sind, die ausgesprochen selbständig und selbstbewusst wirken. Da wurde ich doch etwas nachdenklich: Ob Selbstbewusstsein und Selbständigkeit möglicherweise auch als eine Tarnung verwendet werden können? Nun, das habe ich nicht weiter untersucht.
Wir können uns Verwundungseinflüsse vorstellen, dass z.B. im Falle einer Tochter, die eigentlich ein Sohn werden sollte, natürlich eine ganz bestimmte Rollenentwicklung für sie selbst notwendig gewesen ist, mit der entsprechenden Erwartung, wie der Mann an ihrer Seite auszusehen habe. Der soll dann “souverän” sein, und der kann dann kurz und knapp mit Worten sein, auch: männlich, knackig, herb: “nicht soviel Worte drumherum”, sondern soll auch gleich etwas tun. Gleich das Richtige tun, das war bei Frauen ein wesentliches Element der Antworten.
Gleich das Richtige tun, wer soll das wohl können? Bei den Antworten der Frauen könnte “man” sich natürlich eine etwas kindlich-naive Reklameanzeige vorstellen: Frau mit Pr-Lebensstil (“Prinzessin”) sucht starken, selbstbewussten, sportlichen Mann, immer für sie da, hilfsbereit (Ersatzvater); wobei natürlich leider die Schlussfolgerung zu ziehen ist, dass seine Hilfsbereitschaft immer ihre eigene persönliche Not stabilisiert. Sie bleibt dann immer einen Schritt hinter ihm. Mit dieser Anzeige und dieser Wunschvorstellung wird diese Frau bestimmt keine Schwierigkeiten haben, einen patriarchal orientierten Mann zu finden. Oder jener Gedanke: sie als Frau produziere soviel Probleme, welcher Mann ertrage das schon. Aber es gibt mehr Männer, die Probleme der Frauen mit sich selbst ertragen, als wir uns vorstellen. Es ist nämlich leichter für einige Männer, mit einer problematisierten oder problematischen Frau zusammen zu sein (dass er dann sagen kann: die ist viel schlimmer dran als ich), als mit einer Frau die intelligent und gesund ist.
Eine Frau mit Oma-Syndrom (“kümmern, kümmern, kümmern...”) hat natürlich auch wunderbare Chancen im Patriarchat, “zu einem Mann zu kommen”. Sie muss nur im entscheidenden Moment bereit sein, der Anerkennung dieses Mannes hinterher zu rennen. Oma-Syndrome sind ohnehin günstig für Frauen, um sich in diesem Patriarchat über den Mann an der Seite definieren zu können.
Zwei andere Hinweise möchte ich noch geben: Wenn gewünscht worden ist, der Mann möge kommunikativer oder mitteilsam sein, er möge sich also irgendwie offenbaren, frage ich, ob es einfach bloss um die Inhalte von Kommunikation geht, oder ob es auch darum geht, dass diese Frau verhüllt, versteckt, verborgen meint, der Mann habe vielleicht doch irgendetwas mehr als sie und könne sie dann daran teilhaben lassen. Vielleicht sind das Frauen gewesen, die Erfahrungen z.B. mit einem Bruder gemacht haben, die mitbekommen haben, dass da irgendein Spiel zwischen Vater und Sohn läuft, das sie inhaltlich offenbar überhaupt nicht verstehen, und sich wünschen, der Mann möge endlich ihr das bisher Unverstehbare verstehbar machen, damit auch sie gleichberechtigten Zugang zum Vater erhalte. Doch auch hierin steht wieder die patriarchal erwünschte Orientierung zur Debatte: die Definition des Selbst einer Frau über den Mann.
Unabhängig von weitergehenden Interpretationen, ich sagte es schon, ist das Gemeinsame von allem, das “Richtige gleich tun” zu sollen, was immer vom anderen erwartet wird. Von uns selbst erwarten wir es natürlich nach allgemeiner Erfahrung, die wir mit uns selbst haben, nicht, doch wir denken, es müsste möglich sein, und erwarten das von der idealen Partnerin oder dem idealen Partner. Wir versprechen uns davon, wenn wir endlich gelernt haben, das richtige Tun bereits vor der Tat zu kennen, dass es dann möglich sei, Sinn für uns selbst zu erfahren...