Zum Begriff "krank"

Um einer zu grossen Vieldeutigkeit des Begriffes ”krank” zu entgehen, will ich ihn in folgenden Zusammenhängen verwenden, über deren Entstehung damit aber noch nichts gesagt ist, genauso wenig wie über deren Sinnzusammenhang im Lebensvollzug eines Menschen. Der Begriff krank kann uneingeschränkt verwendet werden, wenn eine persönliche Befindlichkeit verbunden ist mit:

a) organischen Dysfunktionen (somatische Erkrankung) und/oder

b) körperlich begründbarem Leiden (offenbare Somatose) und/oder

c) hochgradigem Abbruch der Beziehung zur Wirklichkeit (körperlich begründbare und körperlich nicht begründbare Psychosen, länger anhaltende psychoseartige Phänomene, genuine Oligophrenie).

In diesen Definitionen sind die Dimensionen

a) somatogenen Versagens (aus dem Körper entstanden),

b) somatotropen Leidens (auf den Körper einwirkend) und

c) der Relationsfähigkeit

enthalten unter dem Aspekt des Verlustes, sich selbst versorgen und/oder ohne Hilfe gesunden zu können, jedoch nicht die Dimension der idiopathischen Absicht, da diese, als selbst (bewusst und/oder unterbewusst) noogen intendierte Entscheidung, ihre Wirkungen in allen drei Dimensionen entfaltet und die Symptomatik in ihnen erfasst werden kann. In den Bereich der idiopathischen Absicht gehören die sich selbst beigebrachten Verletzungen, die selbstbewirkten Krankheiten, Selbstinvalidisierung, Simulierung und selbstgemachte Krankheitsverstärkungen (Aggravation).

Wer den Krankheitsbegriff weiter fassen möchte, riskiert Unschärfe als Folge und damit die Notwendigkeit, sich ständig der daraus resultierenden Problematik klar zu sein, um dennoch zu präzisen Diagnosen zu gelangen: ungefähre Angaben mögen zwar rechtlich ungefährlich sein, dienen jedoch nicht der Gefahrenabwehr. ”Jeder Arzt ist verpflichtet, seinen Patienten die Art ihrer Krankheit sowie den Ablauf, den Zweck und die Gefahren diagnostischer und therapeutischer Massnahmen verständlich zu machen. Viele Ärzte weichen jedoch dem Gespräch mit dem Patienten über die Krankheit insbesondere dann aus, wenn es gilt, unangenehme Dinge mitzuteilen. Die Patienten kommen dieser Tendenz entgegen, indem sie sich häufig nicht von sich aus um fachliche Auskünfte bemühen. Dies gilt für die somatische Medizin in gleicher Weise wie für die Psychiatrie” (H.-J.Luderer ”Aufklärung und Information in der Psychiatrie” in:” Fortschritte der Neurologie. Psychiatrie”; 57.Jahrgang, Heft 8/1989, S.305). Die in diesem zitierten Artikel dargestellten Ergebnisse zeigen deutlich, wie wichtig die ausreichende Kenntnis des Leidenden ist, um zu einer Kooperation zu gelangen, die von Vertrauen getragen ist (Compliance). Diagnose und medikamentöse Behandlung hängen ”in allererster Linie vom Patienten selbst ab, d.h. vom Interesse, das der Patient für seine Krankheit und deren Behandlung mitbringt. Alle Aufklärungsbemühungen können zwar versuchen, nützliches Interesse zu wecken, erzwingen lässt es sich jedoch sicher nicht ... Krankheitsbewusstes Verhalten hängt somit offensichtlich von ganz grundsätzlichen Lebenseinstellungen des Patienten ab, von Einstellungen, die sich durch Interventionen von aussen jedoch in gewissen Grenzen modifizieren lassen” (a.a.O. S. 310/311) . Eben: durch ausreichende Kenntnis des Lebensstils!